Digitale Bildung

 

1. Digitalisierung im Bildungsbereich ist wichtig

Der BEV ist vom Mehrwert digitaler Medien im Unterricht überzeugt und begrüßt den Digitalisierungsschub im Schulbereich, den die Corona-Pandemie mit sich gebracht hat. Zugleich hofft er, dass dieser Schub auch nach der Pandemie anhält.

Gleichzeitig ist es wichtig, dass digitale Technologien in Schulen umsichtig eingesetzt werden – nicht um jeden Preis, sondern mit dem Ziel, den Unterricht zu verbessern und die Schülerinnen und Schüler auf die digitale Welt vorzubereiten.

Viele Kinder verbringen privat viel Zeit mit digitaler Unterhaltung, deshalb muss der bewusste Umgang mit digitalen Instrumenten geschult werden. Übermäßiger Medienkonsum trainiert das Gehirn nur einseitig, motorische Fähigkeiten bei den Kindern nehmen ab. Die Schule aber muss ein Ort des ganzheitlichen Lernens sein und ausdrücklich Gegengewichte setzen.

Der BEV sieht aktuell in mehreren Feldern Handlungs- und Entwicklungsbedarf. Ausgebaut und weiterentwickelt werden müssen

  • die technische Ausstattung,
  • der technische Support,
  • die Didaktik (Lehrmethoden),
  • die Qualität und die Quantität von Medienkompetenz und Informatik.

 

2.  Pädagogische Ziele und Potentiale der Digitalisierung

Digitale Technik und Methoden bieten das Potential, das Lernen und den Schulbetrieb nachhaltig zu verbessern. Insbesondere können sie helfen, die folgenden Ziele zu erreichen:

  • Individualisierung des Lernens,
  • Befähigung zu besserer Selbsteinschätzung,
  • Befähigung zu selbstständigem Handeln,
  • Befähigung zu kooperativem Arbeiten,
  • Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE).

Zur Erreichung dieser Ziele eignen sich Mittel wie:

  • Vernetzung und Teamarbeit der Lehrkräfte,
  • mehr Rückmeldung während des Lernprozesses,
  • offener Austausch von Informationen und Lernmaterialien (zum Beispiel über Open Educational Resources),
  • Blended Learning,
  • Flipped Classroom,
  • Projektarbeit mit außerschulischen oder internationalen Partnern,
  • Peer-to-Peer Learning.

 

3.  Technische Ausstattung verbessern

Die technische Ausstattung der Schulen muss vorangetrieben werden. Wichtig ist die Installation eines soliden Netzwerks im Gebäude, selbst wenn dafür (um)gebaut werden müsste. Auch die Klassenräume brauchen die nötige Technik.

Der Staat empfiehlt Hard- und Software, die nicht an bestimmte Hersteller gebunden ist und stellt den Schulen eine rechtssicher nutzbare Cloud-Plattform zur Verfügung. Das sichert Unabhängigkeit (digitale Souveränität) und senkt die Kosten.

Die Ausstattung der Schülerinnen und Schüler mit Endgeräten für den digitalen Unterricht muss durch die Schule erfolgen. Für Schülerinnen und Schüler bedeutet das gleiche Chancen, den Lehrenden erleichtert es den Unterricht. Für die Schülerendgeräte gilt:

  • Bei der Beschaffung von Endgeräten für den Unterricht muss grundsätzlich Lernmittelfreiheit gelten. Die Geräte bezahlt und wartet der Sachaufwandsträger oder der Staat. Gerade mobile Endgeräte haben gegenüber anderen Lernmitteln hohe Anschaffungs- und Reparaturkosten, die sich viele Eltern nicht leisten können.

  • Unterricht ist so zu gestalten, dass keine privaten Endgeräte gebraucht werden.

  • Sollen ausnahmsweise private Endgeräte verwendet werden, zum Beispiel für Hausaufgaben oder für digitale Informationsveranstaltungen, so darf die Schule nicht verlangen, dass auf dem Gerät spezielle Software installiert wird oder Änderungen an der Systemkonfiguration vorgenommen werden. Bei Bedarf stellt die Schule Leihgeräte zur Verfügung.

  • Bei der Wahl und Beschaffung von Geräten muss die Schule ihrer pädagogischen Vorbildfunktion gerecht werden und bevorzugt Geräte auswählen, die gut reparier- und aufrüstbar sind (Nachhaltigkeit) und mit freier Software betrieben werden können (digitale Souveränität und Selbstbestimmung).

     

4.  IT-Support vor Ort verankern

Immer noch wird der technische Support überwiegend von Lehrerinnen und Lehrern geleistet. Das schwächt zum einen deren Verfügbarkeit für den Unterricht, zum anderen verfügt das pädagogische Personal i. d. R. nicht über das notwendige Fachwissen.

Deshalb fordern wir für alle Schulen vor Ort verfügbare IT-Fachkräfte als zeitlich und örtlich niederschwellige Anlaufpunkte für technische Fragen.

 

5.  Bildungs- und Erziehungspartnerschaft stärken durch digitale Kommunikation

Digitale Instrumente haben das Potenzial, die Bildungs- und Erziehungspartnerschaft auch außerhalb des eigentlichen Schulbetriebs zu stärken. Dazu werden E-Mail-Adressen für Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler, aber auch Elternbeiräte und Klassenelternsprecher benötigt.

Digitale Kommunikationswege ermöglichen laufenden und schnellen Informationsaustausch zwischen den Beteiligten. Der BEV ist überzeugt, dass bei richtiger Anwendung sowohl die Beziehung zwischen Lehrkraft und Schülerinnen und Schülern als auch die Beziehung zwischen Lehrkraft und Eltern gestärkt wird. Damit dies gelingt, müssen die bereits im Alltag etablierten Instrumente wie E-Mail-Accounts und Video-Chats in den Schulalltag Einzug halten. Die Möglichkeit, Sprechstunden und Elternabende auch per Videokonferenz abzuhalten oder an Präsenzversammlungen auch virtuell teilzunehmen, muss ebenso selbstverständlich werden wie Cloud-Plattformen für Elternbeiräte und Eltern.

Gleichzeitig sind Maßnahmen nötig, die eine wertschätzende Kommunikationskultur auf den digitalen Kanälen sicherstellen.

 

6.  Digitale Werkzeuge datenschutzkonform einsetzen

Der Einsatz von Software und Plattformen muss datenschutzkonform erfolgen.

Die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) der Europäischen Union dient der informationellen Selbstbestimmung jedes einzelnen Bürgers. Dieses Recht darf für Schülerinnen und Schüler nicht aufgeweicht werden - weder durch unerlaubte noch durch unbeabsichtigte Datenweitergaben seitens der Schulen.

Der Einsatz von digitalen Unterrichtswerkzeugen darf nicht von sog. "freiwilligen" Einverständniserklärungen abhängen, die den Datenschutz unterlaufen.

Lehrkräfte müssen die notwendige Weiterbildung erhalten, damit sie ihren Schülerinnen und Schülern die Grundprinzipien des europäischen Datenschutzes und die Bedeutung des Schutzes personenbezogener Daten vermitteln können.

Die Unkenntnis über datenschutzkonforme Alternativen oder die Sorge vor einem vermeintlichen Einarbeitungsaufwand bei einem Wechsel darf nicht als Vorwand genutzt werden, Werkzeuge auf nicht DSGVO-konforme Weise einzusetzen. Die digitale Welt erfordert per se ständiges, lebenslanges Lernen. Auch ohne den Wechsel eines bestehenden Anbieters ist ein regelmäßiges Umlernen notwendig, wenn dieser z. B. neue Produkte oder Produktversionen einführt und ältere nicht mehr unterstützt.

 

7.  Nachhaltigkeit

Bei der Ausschreibung und Anschaffung von Geräten und Software muss Nachhaltigkeit zu einem wesentlichen Kriterium werden. Hier muss das Schulsystem seine Vorbildfunktion verantwortungsvoll ausfüllen.

Geräte müssen reparierbar und aufrüstbar sein. Endgeräte mit nicht austauschbaren Komponenten (zum Beispiel Akkus) sind zu vermeiden, ebenso ist zu beachten, dass eine Versorgung mit Software-Updates ausreichend lange gewährleistet ist. Sorgfältig ausgewählt, sind heutige PCs ohne weiteres 10 Jahre oder länger nutzbar.

In die Anschaffung bzw. Finanzierung von Endgeräten müssen auch gebrauchte einbezogen werden.

 

8.  Neutralität

Die Ausstattung der Schulen darf nicht von Produkten einzelner Großkonzerne abhängig sein, "Lock-In"-Effekte sind zu vermeiden. Schulen dürfen nicht unterschwellig als Werbeträger für einzelne Hersteller fungieren. Aktuell ist zu beobachten, dass Konzerne mit attraktiven Angeboten an Schulen herantreten, um gerade junge Menschen möglichst früh an ihre Marken und Produkte zu gewöhnen und zu binden. Hier müssen die Schulen gegensteuern.

Bei Software und Cloud-Diensten lässt sich eine Herstellerunabhängigkeit zum Beispiel durch den Einsatz von Open-Source-Software vermeiden (siehe unten). Hardware sollte so ausgewählt werden, dass sie grundsätzlich mit mehreren alternativen Betriebssystemen betrieben werden kann.

Lock-In-Effekte entstehen zum Beispiel, wenn ein marktdominierender Hersteller verschiedenartige Produkte bündelt und es dem Anwender erschwert, Alternativen zu verwenden, zum Beispiel:

  • Ein Hardware-Hersteller verfolgt ein Closed-World-Geschäftsmodell, bei dem nur Software aus dem eigenen Haus oder über eigene Vertriebskanäle praktikabel installiert werden kann, wie das zum Beispiel bei Apple-Geräten der Fall ist (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Jailbreak_(iOS) ).
  • Ein Hersteller bündelt sein Betriebssystem mit Web-Browser, Anti-Viren-Software oder einem Video-Chat-Tool, oder er bündelt ein Video-Konferenz-Tool mit seinem hauseigenen Office-Paket (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Browserkrieg, https://glm.io/159016).

Lock-In-Effekte können ebenso entstehen, wenn proprietäre, nicht offen dokumentierte Dateiformate verwendet werden oder wenn ein Hersteller existierende Software-Standards durch proprietäre, eigene Erweiterungen unterläuft       
(vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Lock-in-Effekt#Computer und https://de.wikipedia.org/wiki/Embrace,_Extend_and_Extinguish).

 

9.  Digitale Selbstbestimmung

Digitale Selbstbestimmung für jeden einzelnen sehen wir als wichtigen Baustein einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft und fordern daher,

  1. dass die Schulen Unterrichtsmedien und -Inhalte frei wählen können,
  2. dass den Schülerinnen und Schülern der Weg zur Unabhängigkeit in der digitalen Welt mit Alternativen zu den Produkten der marktdominierenden Hersteller gezeigt wird,
  3. dass die Schülerinnen und Schüler in die Lage versetzt werden, alternative Software und Betriebssysteme zu nutzen,
  4. dass Schülerinnen und Schüler ihr Endgerät selbst wählen können und ihnen keine konkreten Software-Produkte für Standardaufgaben vorgeschrieben werden. Alternativen werden lediglich vorgeschlagen.

 

10. Open Educational Resources, freie Medien und Software: Heranführen an kollaboratives Arbeiten in der digitalen Welt

Das Internet erlaubt den weltweiten Austausch von Informationen und Medien. Dementsprechend gewinnt sowohl in der Arbeitswelt als auch in der Zivilgesellschaft kollaboratives Arbeiten zunehmend an Bedeutung. Bekannte Beispiele für offene, von der Gesellschaft geschaffene Sammlungen von Wissen und Medien sind die Wikimedia-Bewegung (bekannt durch Projekte wie Wikipedia oder Wiktionary) oder das OpenStreetMap-Projekt (https://www.wikimedia.org, https://www.openstreetmap.org).

Für Unterrichtsmaterialien, die öffentlich zur Verfügung stehen und frei nutzbar sind, hat sich der Begriff der Open Educational Resources (OER) etabliert. Lehrinhalte, die mit öffentlichen Mitteln erstellt werden, sollen unter OER-Lizenzen veröffentlicht werden. Es ist wichtig, dass dieses Konzept nicht nur als Selbstbedienungs-Quelle für kostenloses Material verstanden wird, sondern dass auch eine aktive Mitarbeit bei der Weiterentwicklung solcher Portale stattfindet und gefördert wird.

Schülerinnen und Schüler können an innovative Arbeitsweisen solcher Projekte herangeführt werden, indem zum Beispiel im Rahmen von Schülerprojekten unter Anleitung Open Educational Resources erstellt oder weiterentwickelt werden.

In der Informatik hat sich der Ansatz bereits seit Jahren bewährt: So basieren zum Beispiel die meisten heute verbreiteten Betriebssysteme (Linux, Android, ChromeOS, iOS) oder Webbrowser (Firefox, Chrome, Edge, Safari, Vivaldi, Opera) vollständig oder in ihren wesentlichen Teilen auf Open-Source-Software, die kollaborativ durch weltweite, teils öffentliche Netzwerke von Entwicklern entwickelt wurden.

 

11. Vermittlung von Medienkompetenzen im Unterricht, Kompetenzaufbau bei den Lehrenden und Schulentwicklung

Die Vermittlung von Medien- und Digitalkompetenzen ist eine wichtige Aufgabe, die von den Schulen wahrgenommen werden muss. Die Prozesse der Schulentwicklung und die Rolle der Schulleitungen müssen entsprechend gestaltet sein, um schnellen Änderungen der Rahmenbedingungen aufgrund technologischer Fortschritte aufgreifen zu können.

Damit eine professionelle Vermittlung von Medien- und Digitalkompetenzen möglich ist, müssen Lehrkräfte entsprechend sensibilisiert und geschult werden. Die Digitalisierung an Schulen muss als wichtige Hauptaufgabe verstanden werden.

Für Lehrkräfte muss Raum und ein Rahmen geschaffen werden, um sich mit neuen Werkzeugen und Methoden zu befassen. Die klassische Lehrerfortbildung muss flankiert werden durch institutionalisierten Erfahrungsaustausch der Lehrkräfte untereinander.

Hierzu können und sollten unter anderem schulübergreifende Portale verwendet werden, wie zum Beispiel:

 

12.   Stärkung des Informatik-Unterrichts

Digitale Technologien gehören bereits heute zum täglichen Leben, und die Bedeutung wird weiter steigen. Der Einsatz von Informationstechnologien stellt längst eine wichtige Kulturtechnik[1] dar, die neben dem Lesen, Schreiben und Rechnen bereits in der Grundschule vermittelt werden muss. In weiterführenden Schulen muss Informatik mindestens der gleiche Stellenwert eingeräumt werden wie den klassischen Naturwissenschaften (Physik, Chemie, Biologie). Darüber hinaus sind besonders interessierten Schülerinnen und Schülern umfassende Angebote in Wahlfächern zu machen. Dies ist sowohl den ausgezeichneten Berufschancen als auch dem herrschenden Fachkräftemangel geschuldet.

 

Text: Gundolf Kiefer / Henrike Paede im Februar 2022, aktualisiert am 25. April 2023


[1]. vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Kulturtechnik#Wissen_und_Kommunikation

 

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