Wald-Sommerförderwoche 2021
Gemeinsam Brücken bauen im Wald - Vielversprechender Draußenunterricht des BEV am Ende der Ferien
Draußenlernen - im Wald, im Park, im Schulhof - schützt vor Ansteckung und bietet Möglichkeiten besonders gehirngerecht zu lehren und zu lernen. Deshalb verbreitet und befördert der Bayerische Elternverband e. V. (BEV) mit seinem Sachgebietsleiter für nachhaltiges Lernen, Oliver Kunkel und dessen Frau Bettina das Draußenlernen für alle Schulen, die sich in Bayern interessieren. Als Auftakt haben nun drei Grundschulen, eine Realschule und zwei Gymnasien in Bayern mit dem BEV die Sommerförderwoche am Ende der Ferien in der Natur angeboten. Der BEV gewann sechzehn Lehramts-Studierende, bildete sie in Online-Kursen und Präsenz-Workshops aus und erarbeitete eine digitale Plattform mit Forschungsergebnissen, Lern-Ideen und Erfahrungsberichten, die den im beginnenden Schuljahr teilnehmenden Schulen und outdoor Lehrenden zur Verfügung stehen wird.
An den Grundschulen in Volkach, Margetshöchheim und Augsburg wurde in dieser Woche genauso das Arbeiten an Lernrückständen in den Kernfächern mit Konzentrations- und Bewegungsübungen, Meditationen und Spielen verwoben wie am Regiomontanus-Gymnasium Haßfurt und dem Walther-Rathenau-Gymnasium mit seiner ebenfalls städtischen Realschule in Schweinfurt. Das sommerliche Wetter half kräftig mit, durchgehend beglückt im Freien zu arbeiten - ob im nahen Wald wie in Volkach oder im Wildpark wie in Schweinfurt.
Viel Expertise hatte das BEV-Team aus Kopenhagen von der TEACHOUT-Forschungsstelle unter Prof. Peter Bentsen beziehen können. ZOOM-Meetings, zahlreiche Studien und Praxis-Tipps brachten die langjährigen Erfahrungen aus Dänemark nach Bayern, auch mit anderen Praktikern wie der Sport- und Gesundheitsdidaktik der TU München und bereits Draußenunterricht praktizierenden Lehrerinnen und Lehrer steht man in kooperativem Kontakt.
Initiator Oliver Kunkel sieht zusammen mit den wissenschaftlichen Begleitern vielfachen Benefit für das Lernen und die Steigerung von Konzentrationsfähigkeit und Antrieb durch Draußenunterricht. Das Lernen im Freien ermöglicht perspektivisches Sehen, welches das Denken und Merken genauso steigern hilft wie die gesteigerte Bewegung, der Kontakt zur Natur oder das Tageslicht. Gerade Mathematik-Studentin Julia, die in Haßfurt zunächst eine Gruppe indoor und dann eine weitere draußen unterrichtete, war beeindruckt von der größeren Disziplin und Anstrengungsbereitschaft der Outdoorgruppe.
Vor allem stellte sie mit ihrer Kollegin Magdalena fest, dass die Kinder im Unterrichtsraum falsche Ergebnisse in ihren Übungsheften lediglich ausgebessert sehen wollten, wo die Schülerinnen und Schüler draußen den tatsächlichen Lösungsprozess selbstverständlich körperlich vollzogen und entsprechend verstehen und behalten wollten. So übten auch die Fünftklässler in Schweinfurt das Rechnen mit negativen Zahlen an tatsächlichen ‚Zahlenstrahlen‘, an denen sie unter wechselseitiger Verbesserung entlang gingen. Grundschülerinnen und -schüler hüpften das Einmaleins im Staffellauf, rechneten mit Naturmaterialien auf kleinen Deckchen, vermaßen Baumstämme, erstellten Tabellen aus Blättern. Mit Zahlenkarten legten Sechstklässler Terme und diskutierten darüber, welche Zahlen und Rechenzeichen vor dem inneren Auge ‚aus dem Bild treten‘ müssten, um die richtige Rechenreihenfolge zu wahren und zu ordnen. Alles konnte im Freien gelegt werden und achtsam in der Vorstellung gemerkt und beurteilt werden.
„Das ‚innere Bild‘ ist die wichtige Brücke zum Verstehen und Merken“ ist Oliver Kunkel überzeugt - jahrelang hat er hunderte aktuelle neurowissenschaftliche Studien nach effizienten Lernbedingungen durchgearbeitet und in dem Buch ‚Neugier entfesseln!‘ samt Praxiskonsequenzen niedergeschrieben. So sieht er Unterricht im Freien als besonders geeignet, dass sich die Kinder ihrer inneren Bilder - seien es nun Rechnungen oder Satzstellungen im Englischen - bewusst werden. Auch das Üben englischer Grammatik - Zeiten, Personen, Fragen, Satzstellung - findet also mit Teddybären als dritten Personen, realen Menschen als Gegenüber, deutend und ansprechend, nach hinten blickend in der Vergangenheitsform, visionär nach vorne deutend bei Futur-Konstruktionen statt. Im Wildpark etwa waren die Stationen einer Schnitzeljagd immer auch Sprachanlässe über das eben Geschehene, das Augenblickliche und das Zukünftige - bewegt und real, aktiv kommunizierend durch alle Kinder. Grundschülerinnen und -schüler fanden in der Natur mannigfaltige, hautnah erfahrbare Sprachanlässe für kleine Gedichte und Geschichten.
Auch wenn in einem Waldstück die Mücken die Aufmerksamkeit störten, der Beginn im Grünen anfangs einigen Kindern noch ungewohnt war: Schülerinnen und Schüler wie Studierende stellten insgesamt deutlich mehr Konzentration im Draußenlernen fest - auch wenn Geräusche und Bewegungen in der Natur hätten ablenken können. Die Forscher aus Kopenhagen hatten es schon konstatiert: Kinder wollen im Freien lieber lernen und sich anstrengen als drinnen - die stabile Motivation innerhalb eines Schultages, aber auch über das gesamte Schulleben ist eines der bemerkenswertesten Studienergebnisse von TEACHOUT. Das bestätigten auch die Kinder in den Schlußbesprechungen. Sie seien stets gerne zur Wald-Sommerförderwoche gekommen und hätten sich besonders wohl gefühlt, so der Tenor. An den Rathenau-Schulen wurden sie zudem zu Beginn der Woche und am Ende nach ihrer Befindlichkeit gefragt und in ihrer Konzentrationsfähigkeit gemessen. Überwältigend äußerten die Kinder, sie hätten Draußenunterricht deutlich weniger Angst gehabt, etwas zu sagen und ausgelacht zu werden. Wenn sie sich mit Aufgaben nicht auskannten, wurde ihnen viel weniger ‚übel‘, sie hatten wesentlich weniger Herzklopfen, wenn Lehrer sie ansprachen und kamen sich nicht so ‚dumm‘ vor, wenn andere besser waren. Die Freude, andere um Hilfe zu bitten, stieg signifikant, auch Lehrer trauten sich die Kinder viel eher zu fragen. Dabei fühlten sie sich bedeutend weniger unwohl, wenn Lehrer oder die gesamte Gruppe sie anblickten.
Natürlich zeichnete sich die Wald-Sommerförderwoche durch eine hohe Betreuungsdichte aus, vier Kinder konnten phasenweise eng mit einer Lehrkraft - oft eben junge und engagierte Studierende - arbeiten, und Tests waren ebenso wenig zu bestehen wie ein fester Stundentakt Druck ausgeübt hätte. Aber diese Woche stieß dennoch spannende Erkenntnisse an und damit ein Fenster zu individualisierterem, bewegterem, vielkanaligerem und wohl effizienteren Lernen im Freien auf. Das wird natürlich nie den gesamten Schulalltag ausmachen, aber durch immer wieder stunden- und tageweise in der Natur wird ein insgesamt mehr bewegtes und gehirngerechteres Lernen ermöglicht werden - für die gesamte Gemeinde der ‚AG Draußenschule’, in der sich bereits rund 90 Schulen, Lehrer, Studierende und Eltern mit grundsätzlichem Interesse an Outdoor-Learning im Verteiler des BEV gesammelt haben. Sie werden von den Erfahrungen der Pilotwoche und der engen Kooperation, den Weiterbildungen und dem Ideenaustausch profitieren - hoffentlich kommen noch viele dazu!
Kontakt über draussenschule(at)bev.de