Im Dialog mit Kultusministerin Anna Stolz

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Mit der neuen bayerischen Kultusministerin Anna Stolz wird spürbar eine neue Form des Dialogs gelebt. Was das bedeutet, durften wir in einem persönlichen Austausch mit ihr erfahren.


ESCHSTRUTH: Frau Stolz, Sie führen das Bayerische Kultusministerium als verantwortliche Staatsministerin seit einem Jahr. Auf was sind Sie stolz?

STOLZ: Ich bin extrem beeindruckt von dem, was unsere Schülerinnen und Schüler alles auf die Beine stellen und zu welchen großartigen Leistungen sie fähig sind. Ich bin ja sehr viel an den Schulen unterwegs und sehe dabei immer wieder, welch enormes Potential in unseren Kindern und Jugendlichen steckt und welch großartige Talente wir im Land haben. Rund 161.000 Lehrkräfte geben tagtäglich an unseren Schulen ihr Bestes, um diese Talente zu entfalten und weiterzuentwickeln. Die Eltern und die Zusammenarbeit mit ihnen spielen dabei natürlich eine zentrale Rolle. Ich möchte daher auch diese Gelegenheit nutzen, um mich bei allen Mitgliedern des Bayerischen Elternverbands für das große Engagement und den so wertvollen Einsatz zu bedanken. Ich bin überzeugt: Die beste Förderung schaffen wir nur dann, wenn alle Kräfte zusammenwirken. Das ist es, was die vielzitierte Schulfamilie ausmacht. Und ja, auf diese bayerische Schulfamilie bin ich sehr stolz!


ESCHSTRUTH: Sie haben im letzten Jahr die Zukunftswerkstätten ins Leben gerufen. Wie sehen die genau aus?

STOLZ: Die Zukunftswerkstätten in Bayern waren mir persönlich ein sehr wichtiges Anliegen. Die Gesellschaft verändert sich und wir müssen uns der Frage stellen, wie wir unsere Schulen zukunftsfest aufstellen. Schließlich müssen wir doch unsere jungen Menschen fit für die Zukunft machen und auf die Lebenswelt von morgen, die wir heute ja teilweise noch gar nicht kennen können, vorbereiten. Dabei bin ich davon überzeugt, dass die besten Ideen im Dialog entstehen. Wir haben in allen Regierungsbezirken mit jeweils rund 200 Teilnehmern – Lehrkräften, Eltern, Schülerinnen und Schülern, Vertretern der Verbände und der Schulaufsicht – über die besten Ideen diskutiert. Dabei sind viele hunderte Anregungen und Vorschläge entstanden, die meine weitere politische Agenda für die nächsten Jahre wesentlich bestimmen werden. Wichtig ist mir vor allem, auch bei der Umsetzung der besten Vorschläge die Praktiker vor Ort mit einzubeziehen.


ESCHSTRUTH: Bayern hat mit den höchsten Bildungsetat in Deutschland, es gibt so viele Lehrer wie niemals zuvor und es herrscht in Bayern lt. dem 2024 ifo Bildungsbarometer die größte Zufriedenheit mit dem Bildungssystem. Wo sehen Sie Verbesserungspotenzial?

STOLZ: So sehr ich mich über diese vielen durchaus positiven Entwicklungen auch freue: Wir dürfen uns auf dem Erreichten nicht ausruhen. Die heutigen Lern- und Entwicklungsbedürfnisse unserer Kinder sind andere als noch vor 10 Jahren. Wir müssen die jungen Menschen bestmöglich auf die Lebens- und Arbeitswelt von morgen vorbereiten. Im laufenden Schuljahr werde ich deshalb beispielsweise den Fokus auf die Gesundheit von Schülerinnen und Schülern, aber auch von Lehrkräften deutlich verstärken. Themen wie Resilienz, Achtsamkeit, Stressbewältigung, Zeitmanagement werden immer wichtiger und das eben auch an unseren Schulen. Zudem werden wir die Lehrpläne in allen Schularten deutlich modernisieren, und auch Platz schaffen, um den Lehrkräften wieder mehr Zeit für ihre pädagogische Arbeit zu geben. Es gibt viele weitere Themen, die ich nennen könnte. Ich denke da an die Weiterentwicklung der Mittelschulen, den Umgang mit KI an unseren Schulen und auch über die Prüfungskultur werde ich mit der Schulfamilie in den Dialog treten. In Zeiten von KI müssen innovative Prüfungsformate mehr Platz an unseren Schulen erhalten.


ESCHSTRUTH: Bildungsysteme sind dynamisch und brauchen, um dauerhaft erfolgreich zu sein, eine gewisse Offenheit zur Veränderung. Sind wir offen genug um dieser Dynamik gerecht zu werden?

STOLZ: Ein gutes Bildungssystem entwickelt sich ständig weiter. Ich denke da an den digitalen Wandel, der Ausbau des Ganztagsangebots, die Etablierung von mehr Sport und Bewegung oder auch ein Zuwachs an Alltagskompetenzen. Entscheidend dabei ist für mich, diese Weiter- entwicklungen immer im engen Austausch mit der Schulfamilie anzugehen. Es lohnt sich immer, offen über Bildung zu diskutieren. Das Ziel ist doch für alle Beteiligten immer gleich: Wir alle wollen die beste Bildung für unsere Kinder. Ich möchte dabei aber auch keine Schnellschüsse und keine bildungspolitischen Experimente, die anderswo bereits gescheitert sind. Schule ist viel zu wichtig, um ein Experimentierfeld zu sein.


ESCHSTRUTH: Haben Sie noch andere Beispiele wie Schule unsere Kinder besser auf die zukünftigen Anforderungen des Lebens vorbereiten kann?

STOLZ: Mir ist wichtig immer wieder zu betonen, dass Schule nicht nur Wissen und Können vermitteln, sondern auch Herz und Charakter bilden soll. So gibt es uns auch die Bayerische Verfassung vor. Aus diesem Grund hat gerade die Demokratie- und Wertebildung an unseren bayerischen Schulen eine große Bedeutung, Mein Ziel ist es bei allem, dass unsere Schülerinnen und Schüler die Schule als selbstbewusste junge Menschen verlassen, die stolz sind auf ihre Talente und Lust haben, sich in unserer Gesellschaft einzubringen.


ESCHSTRUTH: Trotz aller Anstrengungen stieg auch in Bayern die Anzahl der Schülerinnen und Schüler, die nach der Grundschule die Mindestanforderungen im Lesen, Schreiben und Rechnen nicht oder nur teilweise erfüllen. Beunruhigt Sie das?

STOLZ: Das beunruhigt mich sogar sehr. Die Ergebnisse haben noch einmal sehr deutlich gemacht, dass wir reagieren müssen. Deshalb hatte ich noch im Dezember letzten Jahres eine Expertenkommission aus Vertretern der Schulfamilie, der Wissenschaft, der Wirtschaft und der Verbändelandschaft an einen Tisch geholt. In mehreren Runden ist so die PISA-Offensive entstanden, die jetzt zum Schulstart umgesetzt wird. Das übergeordnete Ziel unserer sieben Säulen des Maßnahmenpaktes ist es, die Basiskompetenzen in der Grundschule nachhaltig zu stärken. Dafür geben wir den Schulen mehr Flexibilität. Damit kommen wir übrigens auch dem in zahlreichen Gesprächen geäußerten Wunsch der Schulfamilie nach mehr Eigenverantwortung nach.


ESCHSTRUTH: Der Ganztag ist ein wichtiges Thema vor allem für Eltern. Der Rechtsanspruch kommt in 2026 für die ersten Klassen und wird dann sukzessive für die Folgeklassen eingeführt. Der Großteil der Verantwortung dafür liegt bei den Kommunen, bis auf den gebundenen Ganztag. Es scheint, dass die Kommunen das flächendeckend nicht schaffen werden. In meinem Wohnort Erlangen zum Beispiel scheint es versäumt worden zu sein, hier rechtzeitig die Weichen zu stellen. Die negativen Auswirkungen spüren die Eltern und Kinder bereits heute. Können Sie helfen?

STOLZ: Die Umsetzung des Rechtsanspruchs auf Ganztag hat eine hohe gesamtgesellschaftliche Bedeutung. Ganztägige Bildungs- und Betreuungsangebote tragen dazu bei, Kinder im Grundschulalter noch individueller zu fördern und zu unterstützen. Hinzu kommt, dass die Ganztagsbetreuung einen wichtigen Beitrag zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie leistet. Deshalb müssen bei der Ganztagsbetreuung alle an einem Strang ziehen: die Kommunen als Träger der öffentlichen Jugendhilfe und des Schulaufwands, die Schulen sowie die Kinder- und Jugendhilfe und natürlich macht das auch die Staatsregierung. So unterstützen wir die Kommunen vor allem kräftig bei der Schaffung neuer Plätze und bei den laufenden Betriebskosten.


ESCHSTRUTH: Die Erlanger Eichendorffschule hat letztes Jahr den deutschen Schulpreis gewonnen. Sie haben die Schule besucht. Was können wir von dieser Schulen lernen?

STOLZ: Ich habe mich im letzten Jahr sehr darüber gefreut, dass mit der Eichendorffschule in Erlangen eine bayerische Mittelschule den „Deutschen Schulpreis“ gewonnen hat. Das zeigt einmal mehr, welch hervorragende Bildung an unseren bayerischen Mittelschulen stattfindet. Ich habe mir das Lehren und Lernen an der Eichendorffschule persönlich vor Ort angesehen, um im Gespräch mit der dortigen Schulfamilie und insbesondere auch dem Schulleiter Helmut Klemm wertvolle Impulse für eine zukunftsfeste Weiterentwicklung unserer Mittelschulen zu erhalten. Besonders die Konzepte für noch individuellere Förderung der Schülerinnen und Schüler haben mich sehr überzeugt und inspiriert. Mein Ziel ist es, diese Erfolgsgeschichte aller bayerischen Mittelschulen fortzuschreiben. Deshalb werden wir in diesem Schuljahr – natürlich im Dialog – ein Maßnahmenpaket speziell für die Mittelschule erarbeiten, mit dem wir unter anderem mehr Eigenverantwortung, noch flexibleres Lernen und Lehren und die Modernisierung der Lehrpläne ermöglichen werden.


ESCHSTRUTH: Die Schulleitung mit Markus Bölling von der Europakanalschule in Erlangen hat es nach vielen Jahren harter Arbeit mit seinem Lehrerkollegium und der Schulgemeinschaft geschafft als MODUS-Schule ausgezeichnet zu werden. Können Sie uns erklären was eine MODUS-Schule ist und welche Impulse Sie sich von diesen Schulen wünschen?

STOLZ: Unsere MODUS-Schulen erproben in ganz besonderer und individueller Weise neue Modelle in der Unterrichtsgestaltung, der Personalentwicklung, in der Zusammenarbeit mit externen Partnern und auf vielen weiteren Feldern des Schullebens. Die Maßnahmen, die sie hierfür entwickeln, dürfen auch über die geltenden Schulordnungen hinausgehen, wenn die Schulen das aus pädagogischen Gründen für sinnvoll halten. Das ist schon etwas Besonderes und eine sehr große Wertschätzung. Der MODUS-Status ist deshalb auch gar nicht so einfach zu erlangen und etwas, worauf eine Schule sehr stolz sein kann. Sie gehen in gewisser Weise voran und erproben Modelle für alle Schulen im Freistaat.


ESCHSTRUTH: Was möchten Sie in den kommenden vier Jahren Ihrer Verantwortung für die Kinder erreichen und welche Weichen möchten Sie für die Zukunft stellen?

STOLZ: Ausgang und Ziel wirklich all meiner Überlegungen für künftige Maßnahmen und Initiativen ist immer: Was hat das einzelne Kind davon und was kommt bei ihm an? Denn bei allem Fortschritt und den Chancen und Notwendigkeiten, die sich beispielsweise durch den digitalen Wandel eröffnen, muss eines zu jeder Zeit Bestand haben: Schule ist ein sozialer Ort, an dem der Mensch im Mittelpunkt steht. Wir wollen junge Menschen dabei unterstützen, ein selbst gesteuertes und glückliches Leben zu führen. Dafür arbeite ich sehr hart, um in vielen kleinen Schritten zu großen Zielen zu kommen. Und dafür brauche ich insbesondere auch Sie als Eltern an meiner Seite. Lassen Sie uns unsere Kinder gemeinsam stark machen für die Welt von morgen. Dazu gehört auch, auf jede und jeden Einzelnen bestmöglich Rücksicht zu nehmen, Stärken und Begabungen zu fördern und gleichzeitig niemanden zu vergessen. Das geschieht im Unterricht, auf dem Pausenhof, bei den schier endlosen zwischenmenschlichen Kontakten und in den vielen Projekten, die dazu beitragen, dass Schule eben nicht nur ein Ort des Lernens ist, sondern etwas, woran ich teilhaben möchte. Sie als Eltern sollen Ihre Kinder auch zukünftig gerne in die Schule schicken, weil Sie wissen, dass sie dort eine gute Ausbildung für ihr weiteres Leben erhalten. Dabei soll es bleiben und dafür werde ich mich als Kultusministerin tagtäglich einsetzen!


ESCHSTRUTH: Bitte gestatten Sie mir, Ihnen zur Diskussion über die Abschaffung von Exen den Kommentar eines Vaters vorzulesen, welcher die momentane Stimmungslage bei den Eltern gut zusammenzufassen scheint. „Was bedeutet es für den Bildungsstandort Bayern, wenn die zuständige Ministerin programmatische Arbeit unter Mitwirkung von Experten und Verbänden nur simulieren darf und der Regierungschef zwischen Tür und Angel Scheinlösungen von der Straße aus der Hüfte schießt? Was bedeutet das für die Schulfamilie, das Ministerium, den Stellenwert von Bildung?“

STOLZ: Ich bin davon überzeugt, dass wir in Zukunft mehr noch als bisher auf innovative und praxisnahe Prüfungsformate setzen müssen. Das haben übrigens auch viele Elternvertreter bei unseren Gesprächen im letzten Jahr so bestätigt. Schule verändert sich ständig und mir ist es sehr wichtig, dass wir - gerade in Zeiten von KI - auch unsere Prüfungskultur kontinuierlich weiter- entwickeln. Deshalb habe ich zu Beginn des Schuljahres einen Austausch darüber mit der Schulfamilie angestoßen, den ich intensiv führen werde. Die Frage nach den Exen ist hierbei nur ein kleiner Bereich. Ich werde das Thema sehr differenziert und umfassend im gemeinsamen Dialog beleuchten.


ESCHSTRUTH: Frau Stolz. Ich danke Ihnen für das Gespräch.

STOLZ: Vielen Dank auch Ihnen für das Gespräch und vor allem für unsere gute und konstruktive Zusammenarbeit zum Wohle der jungen Menschen in Bayern.

Die Bayerischen Kultusministerin Anna Stolz (Freie Wähler) im Dialog mit Florian Eschstruth vom Bayerischen Elternverband
Die Bayerischen Kultusministerin Anna Stolz (Freie Wähler) im Dialog mit Florian Eschstruth vom Bayerischen Elternverband
Alle Fotos: Pressestelle Kultusministerium