Bayerischer Elternverband zur „Pisa-Offensive Bayern“: Ein erster Schritt auf einem langen Weg, den wir gemeinsam gehen müssen

Erstellt von Martin Löwe | | Information

Bayern – Die bayerische Kultusministerin Anna Stolz präsentierte am vergangenen Dienstag ihr Rahmenkonzept zur „Pisa-Offensive Bayern“. Der Bayerische Elternverband (BEV) war bei den vorausgegangenen Dialogrunden eingebunden und sieht viele der Anregungen aufgegriffen. „Nun hängt es von jeder einzelnen Schulfamilie ab, ob die neuen Freiheiten des Rahmenkonzepts zum Vorteil der Kinder genutzt werden“, appelliert Martin Löwe, Landesvorsitzender des BEV.

Ein Kernanliegen des BEV im Dialogprozess zur Stärkung der Basiskompetenzen war, der einzelnen Schule mehr Gestaltungsfreiräume und Eigenverantwortung zu geben, um den sehr unterschiedlichen Situationen und Bedarfen der Schulen gerecht werden zu können. Dieses Anliegen greift das Rahmenkonzept vollumfänglich auf. „Wir werten dies als den Beginn eines Umdenkens hin zur Vielfalt und weg von der Einheitsschule, bei der alle Schulen im ganzen Land von oben Verordnetes im Gleichschritt umsetzen müssen“, freut sich Löwe. Umso wichtiger sei es, dass Standards definiert werden, die verbindlich erreicht werden müssen. „Die neuen wissenschaftsbasierten Evaluationsmaßnahmen und Unterstützungsprogramme tragen dazu bei, dass die Ziele für alle verbindlich sind, der Weg dorthin individuell gestaltbar ist, und die richtige Navigation überwacht wird“, meint Löwe.

Neben der Entschlackung von Lehrplänen – warum müssen Kinder eigentlich bereits in der Grundschule z. B. die lateinischen Begriffe wie „Präposition“ lernen? – hätte sich der BEV auch eine Kürzung des konfessionellen Religionsunterrichts wenigstens von drei auf zwei Wochenstunden gewünscht, um noch mehr Freiraum zur passgenauen Förderung zu bekommen. „Dass wir das södersche Machtwort zur Unantastbarkeit des Religionsunterrichts nicht nur für anmaßend, sondern auch als an den Bedürfnissen der Eltern vorbeigehend erachten, haben wir bereits öffentlich bekundet. Wir nehmen zur Kenntnis, dass die Kultusministerin lediglich aus Respekt vor der Weisungsbefugnis des Ministerpräsidenten sich hier hat ins Handwerk pfuschen lassen. Aufgrund des zunehmenden gesellschaftlichen Bedeutungsverlusts der Kirchen sehen wir einer erneuten Diskussion über den Sinn von konfessionellem Religionsunterricht in einem staatlich säkularen Schulsystem gelassen entgegen“, konstatiert Löwe.

Die verpflichtenden Sprachstandserhebungen und Fördermaßnahmen bereits vor Schuleintritt begrüßt der BEV. Allerdings sieht Löwe hier noch Konkretisierungsbedarf: „Was ist mit Kindern, die nicht aufgrund von Migrationshintergrund, sondern einer Behinderung den Sprachtest nicht bestehen – wird ihnen der Zugang zur allgemeinen Schule zeitlebens verwehrt?“

Das Rahmenkonzept sieht vor, dass „die Schule“ im Einvernehmen mit der Schulaufsicht über die passenden Gestaltungsmaßnahmen der Stundentafel entscheidet. Der BEV wünscht sich hierbei den expliziten Einbezug des Elternvotums in Form der Elternvertretung. „Das Einbinden der Eltern von Anfang an ist schon deshalb sinnvoll, weil die Eltern hinsichtlich der häuslichen Unterstützung des Lernens ihrer Kinder ein wichtiges Element des Rahmenkonzepts sind. Durch frühzeitige Information sowie Ausloten der Bedarfe und Möglichkeiten der Eltern, so wie es die Schulen bereits bei der Konzeptentwicklung zur Erziehungspartnerschaft exerzieren (vgl. Art. 74 Abs. 1 Satz 2 BayEUG bzw. ergänzend Dokumentation zum Schulversuch „AKZENT Elternarbeit“), lässt sich nicht nur die Akzeptanz der Maßnahmen steigern, sondern auch ihr Wirkungsgrad“, erläutert Löwe.

Der BEV teilt die Sorge vieler Interessenverbände, dass die Maßnahmen einseitig zulasten der persönlichkeitsbildenden Fächer umgesetzt werden könnten, er sieht jedoch nicht per se eine Stundenkürzung beim Fächerkanon Kunst / Musik / Werken und Gestalten, da es in der Entscheidung jeder einzelnen Schule liege, unter Einbezug der „Flexiblen Stunde“ hier in gewohntem Stundenumfang zu verfahren. Positiv sieht der BEV die in der Pressekonferenz von Kultusministerin Stolz erläuterte Möglichkeit, im Rahmen des Fächerkanons epochal, also die Stunden für ein Fach auf ein Halbjahr konzentrieren, und fächerübergreifend unterrichten zu können. Hierzu Löwe: „Dies kann nicht nur die Effizienz des Unterrichts steigern, sondern schafft auch mehr Möglichkeiten für projektbezogenes Arbeiten, die Lehrerinnen und Lehrer müssen sie nur ergreifen.“

Basteleien an Stundentafel und Lehrplan allein hält der BEV jedoch nicht für ausreichend, die besorgniserregende Entwicklung des Bildungsstands umzukehren. Im nächsten Schritt sei notwendig, über Unterrichtsmethoden nachzudenken. „Ziel darf nicht sein, kurzfristig bessere PISA-Ergebnisse zu produzieren, sondern muss sein, die Kinder fit für die Zukunft zu machen. Das gelingt am besten, wenn Lernen gehirngerecht geschieht. Wissenschaftlich belegt ist, dass projekt- und fächerübergreifender Unterricht nachhaltiges und damit effizienteres Lernen fördert, für die Kinder stressärmer ist und sprachlich-mathematische Kompetenzentwicklung mit psychischer Stärkung der Kinder vereint. In neue Unterrichtsmethoden müssen Erkenntnisse der Gehirnforschung wie auch die Berücksichtigung veränderter Lebensweisen der Kinder und deren Familien einfließen. Bewegung und Koordination, Lernen in der Natur, bewusster Umgang mit Denken und Fühlen sind unserer Ansicht nach unverzichtbare Elemente des Unterrichts von morgen“, erläutert Löwe. Stundentafeln würden hierdurch nachrangig, die Lehrer-Aus- und -Weiterbildung umso bedeutsamer. Nicht zuletzt bedürfe es eines Perspektivwechsels weg vom Selektionsauftrag mit Stoff- und Prüfungsfixierung hin zur Persönlichkeitsbildung. Dies könne dazu beitragen, den Lehrerberuf nicht nur anspruchsvoller und damit attraktiver, sondern das Unterrichten auch effizienter zu machen. Letztlich werde damit langfristig eine Entlastung der einzelnen Lehrkraft bewirkt sowie dem Lehrermangel entgegengewirkt.

Das Rahmenkonzept kann nach Auffassung des BEV nur ein hoffnungsvoller erster Schritt auf dem langen Weg zu einer besseren Schule sein. Es bedarf wirklicher Veränderungen hin zu einem leistungsfähigen und zukunftssicheren Bildungssystem, um nicht bei einer Scheinlösung mit Quantität statt Qualität stehenzubleiben. Oliver Kunkel, Leiter des Sachgebiets „Nachhaltiges Lernen“ im BEV, sieht hierzu folgenden Handlungsbedarf:

  • „Wir müssen die Ausbildung der Lehrkräfte auf den Kopf stellen - sie geht inakzeptabel an der Praxis vorbei und ignoriert alle Erkenntnisse moderner Lehr- und Lernwissenschaften.
  • Wir müssen die Unterrichtsqualität endlich an kognitiver Psychologie und kognitiven Neurowissenschaften ausrichten, wie es starke OECD-Bildungssysteme längst tun.
  • Wir müssen Schulen zu beständiger Qualitätsentwicklung in Kooperation mit Studierenden, Eltern, Schülern und Wissenschaft bringen.
  • Wir müssen verstärkt fächerübergreifend, phänomenbasiert und projektorientiert arbeiten und stets sprachliche und mathematische Grundausbildung integrieren, wie es beispielsweise in Skandinavien selbstverständlich ist.“

Löwe ergänzt: „Wenn wir es mit dem von der Kultusministerin vorgegebenen Ziel, allen Schülerinnen und Schülern im Freistaat bestmögliche Zukunftschancen und nachhaltigen Bildungserfolg zu ermöglichen, wirklich ernst meinen, dann müssen die Themen Bildungsgerechtigkeit, Inklusion, individuelles sowie längeres gemeinsames Lernen zwingend mitgedacht werden. Die vielen kleinen Schritte, die dorthin führen, brauchen mutige Konzepte, beherzte Umsetzung durch Schulleitungen und Lehrkräfte, engagierte Eltern und Wertschätzung durch Schulträger und Politik. Wir freuen uns, dazu beitragen zu dürfen.“

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Der Bayerische Elternverband e. V. (BEV) steht allen Eltern in Bayern offen. Er ist gemeinnützig und an keine Konfession, politische Partei oder Schulart gebunden.

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Martin Löwe
Landesvorsitzender
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