Bayerischer Elternverband zur Entscheidung des Bildungsausschusses: „Wieder eine vertane Chance!“
München – Der Ausschuss für Bildung und Kultus im Bayerischen Landtag hat heute die von Schülerinnen und Schülern initiierte Petition „Schluss mit Abfragen und Exen“ beraten und sie abgelehnt. Martin Löwe, der Landesvorsitzende des Bayerischen Elternverbands (BEV), ist enttäuscht: „Abermals ist eine Chance weggeworfen worden, das Lernen und Lehren im schulischen Bereich an die Anforderungen unserer Zeit anzupassen.“
Laut Löwe zeige sich hierbei, dass politische Entscheidungsträger ihre Entscheidungen aus dem eigenen Erfahrungshorizont heraus fällten und Ansichten von Betroffenen und Experten außer Acht ließen. Schließlich hätten selbst Fachkreise der Regierungsparteien die Petition positiv bewertet. Das Prädikat „konservativ“ werde von den Regierungsparteien wohl nicht mehr im Wortsinn als „bewahrend“, sondern nur noch als „bloß nichts ändern“ begriffen. „Bewahren meint aber, der Zeit anpassen. Durch Nichtstun oder bestenfalls Flickschusterei wird das Schulsystem bald maroder sein als manche seiner Bauten“, mahnt Löwe.
„Wer die Forderung nach Verzicht auf unangekündigte „Exen“ als „Kuschelpädagogik“ abtut, offenbart ein überholtes Verständnis von Lernen – und von Schule und verkennt sowohl die wissenschaftlichen Grundlagen effektiven Lernens als auch das eigentliche Anliegen der Petition: die Förderung nachhaltiger Leistungsfähigkeit, echter Lernbereitschaft und gesunder psychischer Entwicklung unserer Schülerinnen und Schüler“, resümiert Löwe.
Wie kann Lernen gelingen ohne Druck?
Die Antwort liegt nicht im Festhalten an früheren Routinen. Der Druck auf Schülerinnen und Schüler heute ist ein anderer als vor 30 Jahren. Gesellschaftliche, psychische und schulische Belastungen haben zugenommen, die PISA- und IGLU-Ergebnisse* zeigen einen dramatischen Abwärtstrend. Gerade jetzt bräuchte Schule mehr Raum für Beziehung, Vertrauen, Sicherheit – als Basis für Leistung.
Der BEV fordert daher eine pädagogisch fundierte und wissenschaftlich orientierte Reform der Leistungserhebung in Bayern – weg von Überraschung und Straflogik, hin zu förderorientierter, motivierender und selbstwirksamkeitsstärkender Lernkultur!
1 | Leistungsfähigkeit braucht keine Überraschung, sondern Selbstwirksamkeit
Moderne Lernforschung zeigt klar: Lern- und Leistungsbereitschaft entstehen durch Verstehen, Vertrauen und das Erleben von Selbstwirksamkeit, nicht durch Angst. Wer Leistung wirklich fördern will, schafft Bedingungen, in denen Lernende ihr Lernen aktiv gestalten, Fehler als Rückmeldung begreifen und kontinuierlich über Fortschritte reflektieren können.
2 | Warum unangekündigte Tests scheitern
Unangekündigte „Exen“ erzeugen externen Druck, der nur selten in echte Motivation oder Kompetenzaufbau mündet. Disstress – negativer Stress ohne Kontrollmöglichkeit – hemmt das Arbeitsgedächtnis, stört die Aufmerksamkeit und blockiert die Konsolidierung von Wissen. Genau diesen Stress feuern Überraschungsprüfungen an; pädagogisch geplante Leistungsanforderungen tun das nicht.
3 | Von der Bewertung zur Entwicklung: Formatives Testen
Stattdessen braucht das Schulsystem transparente, geplante und regelmäßige Rückmeldestrukturen (formatives Testen, Retrieval Practice). Kurze, angekündigte Wissenstests, Lernjournale, Peer-Feedback oder Diagnosen aktivieren das Gedächtnis, erhöhen die Verarbeitungstiefe und stärken Metakognition. So werden Fortschritte sichtbar, Lernstrategien verfeinert und Verantwortung für das eigene Lernen übernommen – die Basis echter Leistungsfähigkeit.
4 | Vertrauen statt Misstrauen
Unangekündigte Tests signalisieren Misstrauen: „Wer nicht jederzeit geprüft wird, lernt nicht.“ Empirisch ist das unhaltbar, pädagogisch kontraproduktiv. Lernen ist kein Versteckspiel, sondern ein aktiver Prozess aus Planung, Reflexion und Motivation. Regelmäßiges, angekündigtes Feedback lässt Stressresilienz und Selbstvertrauen wachsen – beides Schlüssel für Leistung im 21. Jahrhundert.
Fazit & Appell
Dass ausgerechnet junge Menschen selbst mit dieser Petition für eine Bildungswende eintreten, ist ein Weckruf. Sie fordern nicht weniger Anstrengung, sondern eine, die trägt. Sie wollen nicht weniger Tests, sondern sinnvollere. Sie haben erkannt: Lernen braucht Verlässlichkeit, keine Willkür.
Der BEV unterstützt diesen Impuls. Jetzt ist die Zeit, Bildung neu zu denken – nicht mit mehr Druck, sondern mit mehr Verantwortung. Für eine Schule, die nicht überrumpelt, sondern aufbaut. Für ein Lernen, das stark macht. Für Leistung, die von innen kommt.
Unabhängig von der Petition können schon heute Lehrkräfte freiwillig auf unangekündigte Tests verzichten – ganz ohne Gesetzesänderung. Der BEV appelliert daher an Schulleitungen und Lehrkräfte: „Haben Sie den Mut, Leistungsmessung im Sinne einer nachhaltigen und fortschrittlichen Pädagogik an Ihrer Schule zu gestalten und auf unangekündigte Tests zu verzichten!“
*Die Studien:
- PISA-Studie 2022: Deutsche Schülerinnen und Schüler erreichten im Lesen, in Mathematik und in Naturwissenschaften die niedrigsten Werte seit Beginn der PISA-Erhebung.
- IGLU-Studie 2024: Rund 25 % der Viertklässlerinnen und Viertklässler in Deutschland erreichen nicht die Mindeststandards im Lesen – ein alarmierender Anstieg.
- TIMSS (Trends in Mathematics and Science Study) & WHO-Daten: Fast jeder dritte Schülerin in Deutschland zeigt Anzeichen psychischer Überlastung oder Stresssymptome – Konzentrationsprobleme, Ängste, depressive Verstimmungen. Schule ist für viele kein sicherer Ort mehr, sondern Quelle von Belastung.
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Der Bayerische Elternverband steht allen Eltern in Bayern offen. Er ist gemeinnützig und an keine Konfession, politische Partei oder Schulart gebunden.
Bei Fragen zu dieser Pressemitteilung wenden Sie sich bitte an
Martin Löwe, Landesvorsitzender
martin.loewe(at)bev.de
Tel.: +49 172 8621281
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